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Berliner Zeitung Nr. 52, 02.03.2016, S. 25

Forschung zum Aufwachen

Einige Menschen sind Frühaufsteher, andere Spätzubettgeher. Eine Studie zeigt, welche Gene beteiligt sind.

Von Peter Spork

„Guten Morgen, Muffel!“
Schöne Ankündigung dieses Textes auf der Titelseite.

Cyanobakterien haben es, ebenso Würmer, Fliegen, Pilze, Pflanzen, Affen und Menschen. Zeitgefühl ist ein universelles biologisches Prinzip. Nahezu alle Organismen auf der Erde besitzen innere Uhren. Mit ihrer Hilfe wissen sie, wann es Tag wird oder Nacht. Damit die Lebewesen ihre zeitliche Flexibilität aber nicht verlieren, gehen die inneren Uhren ungenau. Sie müssen täglich nachjustiert werden. Das gelingt zumindest bei uns Menschen vor allem, weil es tags hell und nachts dunkel ist.

Das Uhrwerk der inneren Uhren bilden sogenannte Uhrengene, die Codes für Uhrenproteine enthalten und je nach Tageszeit mehr oder weniger stark abgelesen werden. Der Körper erfährt die Uhrzeit letztlich aus der Zusammensetzung der Uhrenproteine. Wie bei anderen weitgehend genetisch fixierten Eigenschaften – von der Augenfarbe bis zum Hang zur Glatzenbildung–unterscheiden sich Menschen also auch darin, wie schnell ihre inneren Uhren ticken. Bei den einen gibt die Uhr unentwegt Gas und muss gebremst werden. Es verwundert nicht, dass diese Menschen oft bereits frühmorgens topfit sind und fast nie einen Wecker zum Aufstehen brauchen. Sie sind Morgentypen oder Frühaufsteher, von den Experten für innere Uhren, den Chronobiologen, auch Lerchen genannt.

Geht das innere Uhrwerk hingegen tendenziell langsam, haben Menschen Probleme mit dem zeitigen Wachwerden, sind im Gegenzug aber abends geistig wie körperlich besonders rege und werden oft erst sehr spät müde. Dann heißen sie Abendtypen, Spätaufsteher oder – chronobiologisch–Eulen. Siebenötigen im Durchschnitt allerdings nicht mehr Schlaf als die Lerchen, weshalb der übliche Begriff Langschläfer in die Irre führt. „Man müsste sie eigentlich Spätschläfer nennen“, sagt Till Roenneberg, Chronobiologe an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität.

Roenneberg erforscht den Chronotyp der Menschen. Danach zählt jeweils etwa ein Sechstel der Bevölkerung zu den Eulen oder Lerchen. Zwei Drittel sind Durchschnitt, das heißt, das angeborene Tempo ihrer inneren Uhren liegt zwischen den Extremen. Das sei logisch, sagt Roenneberg, da am biologischen Uhrwerk viele Gene zugleich beteiligt seien. Er vergleicht das Phänomen mit der Körpergröße: „Mittelgroße Menschen sind in der Mehrheit, die Extreme sind selten.“

Daten von 90 000 Personen

Doch viele Annahmen über den Chronotyp beruhen bisher vor allem auf Indizien. Alles spricht zwar dafür, dass wir unseren individuellen Hang zur Morgenmuffeligkeit oder zum Frühaufstehen von unseren Eltern geerbt haben. Welche Genvarianten genau dabei den Unterschied ausmachen, ist weitgehend unklar. Diese Wissenslücke wird jetzt geschlossen von einer Untersuchung von Forschern um David Hinds vom US-amerikanischen Unternehmen 23andMe, das kostenpflichtige Gentests für jedermann anbietet.

Die Genetiker werteten Daten von fast 90 000 ihrer Kunden aus und setzten sie in Zusammenhang mit den Angaben, die die Personen über ihren Chronotyp gemacht hatten. Als Resultat dieser Studie präsentierten die Forscher nun 15 Abschnitte im Erbgut der Frühaufsteher, in denen diese sich signifikant von anderen Menschen unterscheiden. Sieben dieser Abschnitte befanden sich direkt bei Uhrengenen berichten die Forscher im Fachmagazin Nature Communications.

Die Kunden von 23andMe werden in Zukunft also nicht nur erfahren, ob sie eine mehr oder weniger große genetische Veranlagung zu Übergewicht, Allergien oder bestimmten Krebsarten haben. Man wird ihnen auch mitteilen, ob sie einen Wecker brauchen oder nicht – eine Erkenntnis, zu der sie sicher auch zuvor schon gelangt waren.

Auf gesellschaftlicher Ebene könnte das Resultat aber bedeutsam werden. In Deutschland und den meisten anderen Industrieländern sind die gängigen Arbeits- und Schulzeiten nämlich nicht synchron mit den inneren Rhythmen der Eulen und meisten Durchschnitts-Chronotypen, insgesamt also der deutlichen Mehrheit der Bevölkerung. Dieser soziale Jetlag bewirkt, dass sehr viele Menschen chronisch zu wenig Schlaf bekommen. Ein Gentest würde das Problem offensichtlich machen.

Allein hierzulande benötigen vier Fünftel der Bevölkerung werktags einen Wecker. Es gibt deshalb Ansätze, etwas gegen die Unausgeschlafenheit zu unternehmen. So wird schon heute in Modellprojekten der Chronotyp von Schichtarbeitern per Fragebogen bestimmt, um deren Arbeitszeit biologisch sinnvoll aufzuteilen. Eulen müssen dann nicht mehr in Frühschichten arbeiten und Lerchen nicht mehr in Nachtschichten. Auch diese Aufgabe könnte in Zukunft ein Gentest übernehmen. Und er dürfte so manchen chronisch Kranken helfen, die wahre Ursache ihres Leidens zu finden: permanentes Arbeiten und Schlafen zur falschen Zeit.

Info-Kasten:
Plan für eine neue Zeitkultur

Das Schlafbedürfnis und die inneren Uhren ließen sich mit einer neuen Zeitkultur berücksichtigen, die Peter Spork, der Autor dieses Beitrags, auch in seinem Buch „Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“ (Hanser 2014) beschreibt. Seine Ideen:

Tags mehr helles Licht und nachts mehr Dunkelheit, um den inneren Uhren das Nachjustieren zu erleichtern. Tagsüber mehr Pausen und Spaziergänge im Freien.

Flexiblere Arbeitszeiten und weniger Präsenzpflicht am Arbeitsplatz, damit die Menschen seltener einen Wecker stellen müssen. Nacht- und Schichtarbeit nur noch dort zulassen, wo sie unbedingt notwendig ist. Darüber hinaus Schichtpläne auf Chronotypen abstimmen.

Abschaffung der Sommerzeit, da sie der inneren Uhr sieben Monate lang falsche Signale sendet.

Späterer Schulbeginn für Jugendliche, da diese unabhängig von ihren Genen Spätaufsteher sind und einen erhöhten Schlafbedarf haben.

© Peter Spork

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