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Kölner Stadt-Anzeiger Nr. 29, 4. Februar 2003, S. 16

Kacheln und Reifen unter Verdacht
Vieles spricht dafür, dass der Hitzeschild am linken Flügel des Spaceshuttles beschädigt war.

Von Peter Spork

Reibungsenergie macht sich als Wärme bemerkbar. Das weiß jeder, der sich schon mal die Handflächen verbrannte, weil er ein Seil zu schnell hindurchgleiten ließ. Was Reibungshitze aber heißt, wenn ein Tonnen schwerer Koloss mit einer Geschwindigkeit von 28 000 Kilometern pro Stunde auf die Erdatmosphäre trifft, können sich nur Astronauten des Spaceshuttle-Programms vorstellen, die bei der Rückkehr zur Erde die Glut vor ihren Fenstern sehen. Oder Materialforscher, die seit Beginn der bemannten Raumfahrt spezielle Materialien entwickeln, um Raumfahrzeuge vor der Hitze zu schützen.
Beständige Glaskeramik

„Der Wiedereintritt in die Atmosphäre ist der schwierigste Teil der Rückkehrmission“, sagt Achim Bachem, Vorstandsmitglied beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Fähre müsse Temperaturen von bis zu 1700 Grad aushalten. Die fast 500 Quadratmeter große Unterseite der Spaceshuttles ist deshalb gepflastert mit 27 500 von Hand verklebten Kacheln aus Hightech-Fasern und hitzebeständiger Glaskeramik. Das Grundmaterial entwickelte schon in den sechziger Jahren Robert Beasley, ein Chemiker der US-Firma Lockheed. Zusammen genommen wiegen allein die Kacheln 4,5 Tonnen, sie Kosten – je nach Schätzung – 14 bis 55 Millionen Euro.

Die Unterseite der Apollo-Kapseln, mit denen die ersten Amerikaner aus dem All heimkehrten, war noch durch eine Hartphenol-Schicht geschützt, die während des Landeanflugs allmählich abschmolz. Die modernen Kacheln sind dagegen wiederverwendbar, weil sie 90 Prozent der entstehenden Wärme sofort abgeben. Nach jedem Flug werden sie eingehend untersucht und – wenn nötig – ersetzt.

Immer wieder füllen die Techniker aber auch kleine Lücken im Hitzeschild. Dass beim Start oder während der Landung ein paar Kacheln abfallen, ist bekannt. Geschadet hat es den Shuttles bisher nicht. Bei dem tragischen Flug Nummer 28 der ältesten Raumfähre Columbia könnte dies anders gewesen sein. Schon am Abend nach dem Absturz geriet auf einer Pressekonferenz der US-Raumfahrtbehörde Nasa der Hitzeschild der Columbia ins Visier. 80 Sekunden nach dem Start am 16. Januar hätten sich Hartschaumteile von dem Zusatztank, auf dem die Fähre zu Beginn reitet, gelöst und das Hitzeschild des linken Flügels möglicherweise beschädigt, sagte Ron Dittemore, der Leiter des Shuttle-Programms. Das Bodenteam habe diese Vorkommnisse analysiert und entschieden, dass sie nicht bedeutend gewesen seien. Ein Austausch fehlender Kacheln während der Umrundung der Erde sei ohnehin nicht möglich.

Mittlerweile dürften die Experten die Daten allerdings noch Hunderte Male analysiert haben; jedenfalls ist eine Beschädigung des Hitzeschilds am linken Flügel der derzeit am häufigsten geäußerte Verdacht zur Absturzursache. Sieben Minuten vor dem Unglück fielen die Temperaturfühler des linken Flügels aus. Kurz darauf bremste – vermutlich durch einen Temperaturanstieg – die linke Seite des Shuttles ab. Der Autopilot korrigierte das falsche Manöver sofort. Wenig später zerbrach das Raumschiff. Womöglich seien beim Start doch zu viele Kacheln am linken Flügel abgefallen – so die Mutmaßungen. Dann hätte sich der Flügel zu stark erhitzt, was zum Ausfall der Sensoren und schließlich zum Auseinanderbrechen der Fähre geführt habe. Die israelische Tageszeitung „Maariv“ berichtete gestern sogar über deutliche Risse am linken Flügel. Sie seien bereits am fünften Tag der Weltraummission während einer Videoschaltung zum israelischen Astronauten Ilan Ramon zu sehen gewesen.

Doch selbst wenn die Schäden beim Start nur gering waren, bleiben die Kacheln unter Verdacht. An besonders empfindlichen Stellen, wie etwa der „Nase“ des Shuttles, könne bereits das Fehlen weniger Kacheln fatale Folgen haben, sagte der US-Physiker Theodore Postol vom angesehenen Massachusetts Institute of Technology der „New York Times“. Zudem stellt sich die Frage, warum der Hitzeschild überhaupt versagt haben könnte, nachdem er sich bei insgesamt 111 vorangegangenen Shuttle-Landungen bewährt habe.

Vielleicht wurde bei der letzten Wartung zu schlampig gearbeitet. Oder die vergleichsweise alten Kacheln der Columbia wurden in den letzten Jahren nicht komplett gegen die neueren Varianten ausgetauscht, die bei den moderneren Shuttles üblich sind. So wird spekuliert. Beides könnte eine Folge des Sparzwangs sein, dem sich die Nasa ausgesetzt sieht, seit US-Präsident Bush die Mittel für die bemannte Raumfahrt kürzte. Angeblich will Bush die Mittel nun auch wieder um 470 Millionen Dollar aufstocken.

Die Fachleute beteiligen sich an solchen Spekulationen indes nicht. „Über die Ursachen des Unglücks können derzeit noch keine Angaben gemacht werden, da detaillierte Informationen hierzu fehlen“, lautet die Linie des DLR. Nasa-Chef Sean O’Keefe setzte noch am Samstag eine unabhängige Wissenschaftlerkommission ein, die die Absturzursache klären soll. Bis diese Kommission zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen ist, ruht das gesamte Shuttle-Programm. Neben dem Hitzeschild dürften sich die Experten zunächst mit den Reifen und der Hydraulik der Raumfähre beschäftigen. Denn auch diese beiden Teile tauchen in der öffentlichen Diskussion über mögliche Absturzursachen auf.

Die letzte vom Boden an die Crew gesandte Mitteilung war eine Meldung über einen erhöhten Reifendruck. Denkbar wäre, dass dieser Reifen kurz darauf geplatzt sei und die Fähre beschädigt hätte. Vielleicht stieg der Reifendruck aber auch nur wegen der Überhitzung an. Auch die Hydraulik wurde als mögliche Fehlerquelle ausgemacht: Sie sorgt, vom Autopiloten gesteuert, dafür, dass die Raumfähre im richtigen Winkel zur Atmosphäre fliegt. Nur so können die Kacheln die Hitze optimal ableiten. Weil dabei schon Abweichungen von mehr als einem Grad gefährlich werden, könnte auch ein kleiner Fehler der Hydraulik verhängnisvolle Folgen gehabt haben.
© Peter Spork

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