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Der Tagesspiegel, 6. Mai 2004, S. 30

Wenn der Atem stockt
Viele Unfälle gehen auf das Konto von Schnarchern – eine Maske kann helfen

Von Peter Spork

Rund 980 Menschenleben könnten jährlich in den USA gerettet werden, wenn die Betroffenen mit einer Anti-Schnarch-Maske geschlafen hätten. Zudem würden Kosten in Höhe von gut sechs Milliarden Euro eingespart. Das ist das Fazit einer Studie von Medizinern um Alex Sassani (Universität in San Diego, Kalifornien), die kürzlich im Fachmagazin „Sleep“ (Band 27, Nr. 3) erschienen ist.

Die Ärzte hatten Studien über Auswirkungen krankhaften Schnarchens analysiert. Zudem werteten sie Unfallstatistiken der vergangenen 24 Jahre aus. Demnach wurden in den USA im Jahr 2000 mehr als 800000 Unfälle durch übermüdete Schnarcher, medizinisch „Schlafapnoiker“, verursacht. Darunter waren 1400 Todesfälle, von denen 980 durch eine adäquate Therapie hätten verhindert werden können.

Auch wenn diese Zahlen nicht ohne weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragbar sind, so bestätigen sie doch deutsche Experten. „Es hat sich noch nicht überall herumgesprochen, dass Schnarchen gefährlich werden kann“, sagt Holger Hein, Schlafmediziner am Krankenhaus Großhansdorf bei Hamburg. Nicht zuletzt, weil Apnoiker drei- bis sechsmal häufiger in Verkehrsunfälle verwickelt sind als gesunde Menschen, sollte das Problem doch ernst genommen werden.

Etwa ein Drittel der erwachsenen Deutschen und sogar die Hälfte der Über-60-Jährigen zählen zu den Schnarchern. Die große Mehrheit von ihnen ist völlig gesund. „Nur wer neben Atemaussetzern auch Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck und Tagesschläfrigkeit hat, leidet an schwerer Schlafapnoe“, sagt Hein. Das trifft auf ein bis drei Prozent der Bundesbürger zu.

Betroffene gehen aber selten zum Arzt. Zudem verkennen Mediziner nicht selten die Ursache der meist diffusen Beschwerden. Bei schweren Schnarchern verengen sich mitunter mehrere hundert Mal pro Nacht die Atemwege so stark, dass sie nicht nur Radau machen, sondern zudem wenig oder gar keine Atemluft durchlassen. Zwischen zehn Sekunden und zwei Minuten dauern solche Phasen, während denen der Sauerstoffgehalt des Blutes bedrohlich abfällt.

Der Körper schaltet auf Alarm. Muskelspannung, Puls und Blutdruck steigen. Schließlich weckt das Gehirn den Körper und zwingt ihn, mit einem oft explosionsartigen Geräusch Luft zu holen.

Danach schläft der Schnarcher gleich wieder ein, ohne sich später an das nächtliche Geschehen zu erinnern. Weil der Schlaf aber unentwegt gestört wird, stellen sich morgens häufig Kopfschmerzen ein. Die Betroffenen fühlen sich „wie gerädert“. Tagsüber sind sie übermüdet, können sich kaum konzentrieren, neigen langfristig zu Depressionen, Herzleiden oder Impotenz. Bluthochdruck erhöht das Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Auf die Gefahren der Tagesschläfrigkeit hat gerade der ADAC hingewiesen. Autofahrer mit unbehandeltem Schlafapnoe-Syndrom dürfen deshalb nicht am Straßenverkehr teilnehmen. 25 Euro Strafe kostet der Verstoß. Im Falle eines Unfalls, der auf erkennbare Übermüdung zurückzuführen ist, drohen sogar Freiheitsstrafen.

Doch was tun? Wer besonders laut und unregelmäßig schnarcht, dabei Atempausen macht, an Bluthochdruck, Anfällen von Sekundenschlaf und häufiger Abgeschlagenheit leidet, sollte einen auf Schlafmedizin spezialisierten Lungenarzt oder Internisten aufsuchen. Die Experten prüfen zunächst mit einem ambulanten Überwachungsgerät, das wichtige Daten zu Hause erfasst.

In schweren Fällen wird der Schlaf im Schlaflabor analysiert. Dort wird auch die bisher effektivste Gegenmaßnahme ausprobiert: das Tragen einer Atemmaske, die den Schlund leicht unter Druck setzt, damit er nicht mehr zufallen kann. Atmen müssen Patienten nun, als würden sie ihren Kopf bei langsamem Tempo aus dem Autodach strecken und sich dem Fahrtwind aussetzen.

Studien haben nachgewiesen, dass die Anzahl der Atempausen dank der Masken zurückgeht. Gut zwei Drittel der Patienten profitieren von der Behandlung, die oft lebenslang andauern muss. Alternativ können Zahnspangen, die den Unterkiefer nachts nach vorne verlagern, „bei leichter Schlafapnoe und reinem Schnarchen helfen“, sagt Hein. Andere Methoden, etwa die Stärkung der Zungenhaltemuskulatur mit schwachen Stromstößen oder einem schnullerartigen Trainingsgerät sind wissenschaftlich nicht ausreichend untersucht. Sie helfen vermutlich nur gegen gewöhnliches Schnarchen.

Bei Anti-Schnarch-Operationen, die vor allem in Frage kommen, wenn anatomische Besonderheiten wie zu großes Zäpfchen oder zu kleiner Unterkiefer Auslöser sind, ist Vorsicht geboten. Wenn sie überhaupt helfen, beseitigen sie oft nur das Schnarchgeräusch, nicht jedoch die Atemstillstände.

Angesichts der Fülle technischer oder chirurgischer Gegenmaßnahmen wird eine vergleichsweise simple Therapie leicht übersehen: die Änderung von Lebensgewohnheiten. Gesunde Ernährung, Abspecken, mehr Bewegung, weniger Nikotin und Alkohol sowie mehr Augenmaß bei schlaffördernden Medikamenten können helfen.
© Peter Spork

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