<< zurück

 


Frankfurter Rundschau 31. März 2009, S. 12/13
Schalter an den Genen
Sportlich und maßvoll oder träge und verfressen – unser Lebensstil beeinflusst langfristig stark die Körperfunktionen

Von Peter Spork

Zum Glück sind Menschen verschieden. Dass daran auch die Gene schuld sind, gehört inzwischen zum Allgemeinwissen. Doch es ist nur die halbe Wahrheit: Umwelteinflüsse entscheiden mit. Sie bestimmen darüber, welche Gene in einer Zelle an- und welche ausgeschaltet werden. Wie das genau funktioniert, ist indes noch lange nicht im Detail erforscht.

Damit sich das ändert, verabschiedete die US-Gesundheitsbehörde NIH jetzt ein 190 Millionen Dollar teures, auf fünf Jahre angelegtes Programm zur Unterstützung einer jungen Wissenschaft: der Epigenetik.

Bei dem Programm handelt es sich um das sogenannte Epigenomprojekt, das biochemische Schalter an der Erbsubstanz DNA analysieren soll. Diese Schalter sind Methyl- oder Acetylgruppen, die sich direkt an die DNA anlagern oder die Eiweiße verändern, die den DNA-Faden umhüllen. Sie bestimmen letztlich, welches Gen einer Zelle zu welchem Zeitpunkt ihrer Entwicklung gerade aktiv ist und welches nicht.

Forscher nennen Gesamtheit der Schalter das Epigenom

Die Gesamtheit der Schalter nennen Forscher das Epigenom, was in etwa Übergenom bedeutet. Ein treffender Begriff, denn erst die Schalter geben dem Gentext einen Sinn. Sie ordnen und katalogisieren seine Informationen.

“Einzelne Zellen können sich dank ihres Epigenoms erinnern”, sagt der Molekularbiologe Renato Paro, Leiter des Departments Biosysteme der ETH Zürich in Basel. Mit diesem “Gedächtnis der Zellen” kann man heute erklären, warum es in jedem Menschen so verschiedene Zellen wie zum Beispiel Nerven-, Haar- und Leberzellen gibt – obwohl sie identische Genome haben.

Auch dass die Ernährung, Sport, extremer Stress, Vergiftungen oder ein gewandelter Lebensstil dauerhafte Veränderungen in Körper und Geist bewirken, scheint Folge der epigenetischen Programmierung von Zellen zu sein.

Die NIH investiere aber nicht zuletzt deshalb so viel Geld, weil falsch gesetzte Epigen-Schalter höchstwahrscheinlich an der Entstehung vieler Krankheiten wie Krebs und Fettsucht beteiligt seien, weiß der Genetiker Alexander Meissner von der Harvard Universität in Boston, USA. Die Arbeitsgruppe des gerade mal 32 Jahre alten gebürtigen Berliners, die am renommierten Broad-Institut forscht, erhält zusammen mit einer Partner-Gruppe um Bradley Bernstein 15 Millionen Dollar aus dem Topf der NIH.

Die Forscher wollen mit dem Geld die chemischen Markierungen von 100 verschiedenen menschlichen Zelltypen ausfindig machen, und damit das Geheimnis der Identität einzelner Zellen lüften. Meissner ist sich der Dimension der Aufgabe bewusst: An der Entschlüsselung des ersten menschlichen Genoms haben viele Gruppen jahrelang gearbeitet. Doch in unserem Fall geht es nicht nur um ein einzelnes Genom sondern um hunderte, viel komplexer strukturierte Epigenome.”

Dass man sich eine solche Riesenaufgabe heute überhaupt vornehmen kann, hat vor allem mit dem atemberaubenden technischen Fortschritt zu tun: Die Sequenzier-Roboter, die den Gentext mitsamt seiner anhängenden epigenetischen Schalter lesen, sind inzwischen sehr viel schneller und auch billiger geworden als noch vor zehn Jahren.

Bahnbrechende Experimente

Meissners Team und weitere Kollegen vom Broad-Institut haben zudem gerade erst bewiesen, dass sie mit diesen Geräten trefflich umgehen können: Im Fachblatt “Nature” veröffentlichten sie die erfolgreiche Kartierung der Epigenome von 17 verschiedenen Mauszellen (Bd. 454).

Das Epigenomprojekt sei letztlich die logische Fortsetzung des vor fünf Jahren zu Ende gegangenen Humangenomprojekts, sagt Meissner: “Man kann mit Recht behaupten, dass die Erkundung des menschlichen Epigenoms das nächste große Ziel der Genomforschung ist.”

Zuletzt war der Harvard-Forscher noch maßgeblich an bahnbrechenden Experimenten seines Doktorvaters beteiligt. Der ebenfalls aus Deutschland kommende Genforscher Rudolf Jaenisch vom Bostoner Massachusetts Institute of Technology machte Schlagzeilen mit sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen, die nicht mehr wie früher per Klonen sondern auf dem Weg der gentechnischen Reprogrammierung entstehen.

Mit seiner eigenen Gruppe fährt Meissner jetzt zweigleisig: Er stürzt sich zwar auf die Epigenetik, arbeitet aber weiterhin zusätzlich in der Stammzellforschung. Auch für dieses Gebiet ist das NIH-Projekt von herausragender Bedeutung. Denn erst ein sich wandelndes Epigenom macht aus einer Stammzelle mit ihrem Potenzial, sich in jede erdenkliche Körperzelle fortzuentwickeln, eine spezialisierte Zelle, die sich in einen Gewebeverband eingliedert und zu immer gleichen Tochterzellen teilt.

Die beiden Felder ergänzten sich hervorragend, sagt Meissner: “Dank der Entschlüsselung der verschiedenen Epigenome hoffen wir sowohl die Differenzierung von Zellen als auch die Entstehung von Krankheiten besser zu verstehen”, nennt er seinen Ansporn. Was passiere zum Beispiel mit einer Stammzelle, damit sie auf dem einen oder dem anderen Entwicklungsast landet? An welchen Genschaltern müsse man drehen, um etwa eine Hautzelle in eine Nervenzelle zu verwandeln? Welches epigenetische Programm mache manche Zellen bösartig oder funktionsunfähig? Könnte man diese Fragen endlich beantworten, wäre die Genforschung ein entscheidendes Stück vorangekommen.

In die Wiege gelegt

Griffin Rodgers, Direktor des NIH-Instituts für Diabetes, Magen-, Darm- und Nierenkrankheiten, verspricht sich vom Epigenomprogramm sogar einen Blick auf das biomedizinische Schicksal, das jedem Menschen in die Wiege gelegt wird: “Die Ergebnisse dürften weitreichende Auswirkungen für unser Verständnis haben, wie Umwelteinflüsse während der Schwangerschaft das Risiko des Kindes erhöhen, eines Tages eine chronische Krankheit zu bekommen.”

Denn gerade die Erfahrungen und Ernährung im Mutterleib und kurz nach der Geburt scheinen das Programm von Zellen nach neuesten Erkenntnissen besonders nachhaltig zu beeinflussen. Die Folgen machen sich laut Rodgers dann oft erst im Alter bemerkbar: etwa in Form von Diabetes oder einer Herz-Kreislauf-Krankheit.
© Peter Spork


Infokasten
Ein deutscher Forscher in den USA

Alexander Meissner ist 32 Jahre jung und dennoch bereits “Assistant Professor” der weltberühmten Harvard University in Cambridge, USA. Zugleich ist er “Member of the Broad-Institute” – also Mitglied einer 2003 aus der Taufe gehobenen, sehr angesehenen Forschungseinrichtung, die Wissenschaftlern der Bostoner Top-Universitäten bestens ausgestattete Plattformen bietet, auf denen sie gemeinsam an der Zukunft der Biomedizin arbeiten sollen.

Der Genetiker gilt als kommender Star seiner Zunft. Er legt jedoch Wert darauf, dass er einen großen Teil seines Erfolgs dem Umfeld verdankt. “Die Plattformen sind das Besondere am Broad-Institut”, sagt er. “Es ist sehr viel produktiver, wenn man nicht alles mit seiner eigenen Gruppe machen muss.”

Sein Team sei zum Beispiel spezialisiert darauf, Zellen für eine Genomanalyse vorzubereiten, eine andere Gruppe besorge dann die eigentliche Sequenzierung des Erbguts. “Jeder macht nur das, wofür er die optimale Ausstattung hat und womit er sich am besten auskennt.”

Der Direktor des Broad-Instituts ist Eric Lander, der maßgeblich an der Entschlüsselung des menschlichen Genoms beteiligt war. Und auch Meissners Doktorvater arbeitet in Boston: Es ist Rudolf Jaenisch vom Massachusetts Institute of Technology, einer der Pioniere der Gentechnik und Stammzellforschung.

“Zu Jaenisch bin ich gegangen, weil ich in einem der führenden Labors arbeiten und die neuesten Techniken lernen wollte”, sagt Alex, wie Meissner nach sieben Jahren in den USA genannt wird. Bis zum Alter von 25 Jahren lebte er in Berlin und machte sein Biotechnologie-Diplom an der Technischen Universität. Dann zog es ihn in die USA, wo er mit embryonalen Stammzellen arbeitet.
Peter Spork

<< zurück