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Die Zeit, 3. Februar 2005, S. 30

Hellwach in der Disco
Münchner Biologen glauben, das Erwachsenwerden in Zukunft genau datieren zu können: Sie messen einen überraschenden Wandel im Schlafverhalten von Jugendlichen

Von Peter Spork

Ein Dauerthema von Familienkonflikten ist der Streit um die Schlafenszeit. Bitter beklagen sich Eltern darüber, dass der Nachwuchs abends nicht in die Federn hinein- und morgens nicht herausfindet. Je weiter die Pubertät voranschreitet, desto lieber machen die Sprösslinge die Nacht zum Tag. Und wenn sie dann spätnachts noch fast taufrisch aus der Disco heimkommen, sind die wartenden Eltern meist schon vor vielen Stunden auf dem Sofa eingeschlafen.

Doch offenbar sind weder Renitenz noch Vergnügungssucht für die jugendliche Munterkeit verantwortlich, sondern die Hormone. Während es zum Erwachsensein gehört, abends immer eher müde und morgens früher wach zu werden, ist es bei Jugendlichen genau umgekehrt: Sie mutieren mit fortschreitender Adoleszenz, also zwischen dem Eintritt der Pubertät und dem Erwachsensein, stetig zu Nachtmenschen. Ein Forscherteam um Till Roenneberg vom Zentrum für Chronobiologie der Universität München fand jetzt heraus, dass diese Umkehr des Einschlaftrends zu einer systematischen, für jeden Menschen gültigen Entwicklung gehört, die eine physiologische Ursache haben dürfte.

Auf diese Erkenntnis stießen die Forscher, als sie 25000 Fragebögen zum so genannten Chronotyp auswerteten, der festlegt, wie stark jemand in Richtung Nachteule oder Morgenmensch tendiert. Ganz nebenbei scheinen sie nun auch eine Methode gefunden zu haben, die misst, wann die Jugend vorbei ist. Im Fachblatt Current Biology (Bd. 14, S.R1038) postulieren die Autoren einen ersten »biologischen Marker für das Ende der Adoleszenz«. Es scheint so, als gingen »die Teenager in die Disco, weil sie erst dann einschlafen können, wenn es richtig spät ist«, folgert Roenneberg aus den Daten. Über die Ursachen der Veränderung des Chronotyps können die Biologen allerdings bislang nur spekulieren; altersabhängige Hormonschwankungen etwa des Wachstumshormons und der Geschlechtshormone könnten eine Rolle dabei spielen. Sind die Hormonstürme überstanden, schlägt das Pendel zurück in die andere Richtung. »Der Knickpunkt der Kinetik liegt bei Frauen im Alter von 19,5 und bei Männern im Alter von 20,9 Jahren«, sagt Roenneberg. Wie bei den meisten anderen Entwicklungsprozessen seien Frauen also auch hier früher dran als Männer.

Überlagert wird dieses spätpubertäre Schlafverhalten allerdings von unserer ganz individuell tickenden inneren Uhr. Deren Hauptsitz ist im Gehirn, wo sie unentwegt von den Augen Informationen über die aktuelle Helligkeit erhält und sich so an den äußeren 24-Stunden-Tag anpasst. »Die innere Tagesperiodik des Menschen wird täglich mit der Erdrotation synchronisiert«, sagt Roenneberg. »Je nach genetischer Konstellation und innerer Tageslänge betten sich Menschen aber unterschiedlich in den äußeren Tag ein.« Gehen die inneren Uhren von sich aus sehr langsam, müssen sie von den äußeren Signalen ständig beschleunigt werden. Dann steigt das Schlafbedürfnis erst spät in der Nacht und bleibt morgens lange hoch. Laufen die Uhren-Gene zu schnell, ist es umgekehrt: Man wird bereits am frühen Abend müde und ist vor dem Morgengrauen ausgeschlafen. Dieser geerbte Rhythmus bleibt zeitlebens erhalten. Mit Anfang 20 beginnt er zunehmend über die hormonbedingte Verschiebung in Richtung Morgenstunden zu dominieren, die Menschen teilen sich fortan wieder deutlicher in Frühaufsteher und Nachtmenschen.

Unabhängig vom Tempo der inneren Uhren brauchen die meisten Menschen etwa sieben Stunden Schlaf. Fatal dabei ist, dass der Alltag der Jugendlichen nicht zum biologischen Entwicklungsprozess passt. »Unser Schlaf wird während der Woche von zwei verschiedenen Uhren begrenzt«, sagt Roenneberg, »abends von der inneren Uhr, morgens vom Wecker. Und je später der Chronotyp, desto weniger Schlaf bekommen die Menschen.« Vor allem Jugendliche häufen so an Wochentagen ein Schlafdefizit an. Roenneberg fordert deshalb eine Verschiebung des Schulbeginns auf neun Uhr.
© Peter Spork

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