Leseproben

Die folgenden Leseproben stammen aus „Das Uhrwerk der Natur“. Sie sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Deutschsprachige Nutzungsrechte vermittelt mein Verlag.

Vorwort

Leben ist Rhythmus. Leben ist Musik. Die Erde ist durchdrungen vom Lauf der Gestirne, der die Zeit in Jahre, Monate und Tage teilt. Seine Takte vorauszuahnen, ist für Organismen ein unschätzbarer Vorteil, so dass fast jedes Wesen sein physiologisches Geschehen einem zyklischen Muster unterwirft. Es hilft, bei Sonnenaufgang schon aktiv zu sein oder vor dem ersten Frost in Winterschlaf zu fallen. Und natürlich folgt auch der Mensch unbewusst den Rhythmen seiner unzähligen inneren Uhren, die allesamt verbunden sind zu einem hochkomplexen Räderwerk des Zeitgefühls.

Chronobiologen erkunden, wie, wo und warum das Uhrwerk der Natur so tickt wie es tickt. Ihre lawinenartig angewachsenen Erkenntnisse begreifen, heißt sein Leben ändern: zu bestimmten Zeiten bewusst das Tageslicht suchen, es in anderen Momenten vielleicht meiden, mit Jetlag umgehen lernen, seine Neigung zum Langschläfer verstehen und ihr sinnvoll nachgeben oder Kindern den Schulalltag erleichtern. Selbst die Medizin profitiert: Neue Therapien entstehen, die den Faktor Zeit einbeziehen. Wichtige Krankheiten werden als Störungen des chronobiologischen Systems gedeutet.

Chronoforscher haben allen Grund, selbstbewusster zu werden. Im Herbst 2003 trafen sie sich zum ersten Weltkongress für Chronobiologie in Sapporo, Japan. Die Zeit war reif. Und sie ist auch reif für dieses Buch, das die enorme Vielschichtigkeit des Lebens mit der Zeit zusammenfasst – vom Einzeller bis zum Menschen, vom Sekundenbruchteil einer Nervenerregung bis zur Jahrzehnte taktenden Lebensuhr.

Erkenntnis aus der Isolation – wie die Biologen auf die Zeit kamen

Was die deutschen Physiologen Jürgen Aschoff und Rütger Wever Mitte der 1960er Jahre tief in den Berg unterhalb ihrer Institutsgebäude im bayrischen Andechs hauen ließen, hielten auch wohlmeinende Zeitgenossen anfangs für eine Art Folterkammer. Drei Räume, abgeschirmt durch meterdicke Mauern, voneinander getrennt durch je zwei schalldichte, als Schleusen wirkende Türen, versorgt über unabhängige, niemals schwankende Strom- und Wassernetze, angenehm, aber immer gleich bleibend temperiert durch Klimaanlagen, bildeten ein unterirdisches Versuchsareal, das nicht von ungefähr den Namen Bunker verpasst bekam.

Die beiden hinteren Räume waren mit allem ausgestattet, was ein Mensch zum Leben braucht: Bett, Tisch, Stuhl, Regal, Heimtrainer, Küche und Bad. Sie waren über den vorderen Raum erreichbar, der wiederum alles enthielt, was ein Verhaltensforscher damals zum Forschen brauchte: Schreiber, die mehr oder weniger heftig über dicke Papierrollen kratzten, elektronische Geräte mit einer Reihe verschiedenfarbiger, gelegentlich blinkender Kontrolllämpchen, Laborbücher und wenig Platz.

Fast immer lief gerade ein Experiment. Das Papier der Schreiber wickelte sich dann langsam, aber unentwegt ab, maß gleichmäßig den Gang der Zeit und protokollierte bis ins letzte Detail, was in den beiden anderen Räumen geschah: Matratzenbewegungen, das An- und Ausgehen der Beleuchtung, das Betätigen der Kochplatten oder das Drücken verschiedener Knöpfe, die zum Beispiel den Gang zur Toilette oder den Beginn einer Mahlzeit anzeigen.

In den Versuchsräumen fehlte alles, was die Zeit auch nur andeutungsweise takten konnte: Uhren, Fernseher, Radios, Tageslicht, Lärmquellen, Telefon, die morgendliche Zeitung, frische Frühstücksbrötchen und Besuche. Bis auf eines: der Mensch. Was nämlich in den berühmt gewordenen Andechser Bunkerexperimenten zuallererst bewiesen wurde, war, dass der Mensch eine biologische Uhr besitzt. Dem von ihr erzeugten Tagesrhythmus sind unzählige unserer Körperfunktionen unterworfen.

Im Körper klingt Musik

Eine Melodielinie taucht auf, dann eine zweite. Sie finden sich zu einem kurzen gemeinsamen Thema, laufen aber unerbittlich wieder auseinander. Das Ohr des Zuhörers versucht vergebens zu sortieren, entdeckt neue Rhythmen, um sie sogleich wieder zu verlieren. Die Musik öffnet sich, ein neues Muster entfaltet eine ungewohnte Harmonie, die fasziniert, obwohl sie dem gängigen Hörgefühl zuwiderläuft. Der Pianist scheint inzwischen fünf Hände zu haben – und die unerhörte Fähigkeit mit jeder einen anderen Rhythmus zu spielen. Es ist der Franzose Pierre-Laurent Aimard, der eine der virtuosen Klavier-Etüden des zeitgenössischen Komponisten György Ligeti meistert.

Das Stück ist darauf angelegt, vom Einfachen ins Hochkomplexe zu führen. Es folgt keinem der gewohnten Taktschemata. Doch warum bewirkt es beim Zuhörer so eine eigenartige Vertrautheit, so ein Gefühl, das alles schon gehört zu haben?
Dem Rätsel kommt näher, wer eine der interessantesten Quellen für Ligetis Inspiration kennt: die Gesänge der Pygmäen. Das zentralafrikanische Volk, das in den Urwäldern des Kongobeckens lebt, besitzt die komplexeste Vokalmusik der Welt. Seit Jahrtausenden singen die Pygmäen bei nahezu allem, was sie tun, und geben ihren reichen Liedschatz von Generation zu Generation weiter. Die Gemeinschaft singt zusammen, doch fast jeder eine eigene, festgelegte Melodie, manche trommeln, andere Klatschen. Die Lieder sind polyphon und polyrhythmisch zugleich. Und vermutlich stammen sie aus einer Zeit, als der Mensch ein feineres Gespür für die Natur hatte als heute.

So könnte es sein, dass die Vertrautheit, die Ligetis Musik ausstrahlt, von einer ungeahnten Nähe zur Natur kommt. Ligeti selbst hat über seine Etüden gesagt: „Sie erhalten sich als wachsende Organismen.“ So spiegelte diese Musik vielleicht wider, was sich pausenlos in unseren Körpern abspielt, den chaotisch wirren Tanz der Nerven, Muskeln und Organe, die Musik des Lebens.

Da überrascht es gar nicht mehr, dass sich die Oszillation von Kalzium in einer Leberzelle, wenn sie vertont wird, ähnlich anhört wie polyrhythmische Musik. Und dass die Hirnaktivität eines 10-jährigen Jungen, die anfangs ruhig und ausgeglichen ist, sich aber langsam aufbauscht und schließlich bis zum epileptischen Anfall steigert, übersetzt in Klaviermusik zumindest ansatzweise als moderne Komposition durchgehen könnte. Gerold Baier, Professor für Nichtlineare Dynamik in Cuarnavaca, Mexiko, hat diese Beispiele als Anlage zu seinem Buch Rhythmik vertont. Er propagiert die These, dass viele Abläufe des Organismus eine rhythmische Natur haben: der Herzschlag, die Hormonausschüttung, der Stoffwechselaustausch einzelner Zellen, die Übertragung von Informationen in den Nerven und zu den Muskeln. Und dass es der Wissenschaft entscheidend weiterhelfen würde, lernte sie diese Rhythmen wie Musik zu hören und zu deuten. (…)

Unpünktliche sterben aus

Im Frühling und Sommer zieht es die Touristen scharenweise an die sandigen Strände bei La Jolla, Kalifornien. Baden wollen sie allerdings nicht. Sie versammeln sich nachts und nur alle 14 Tage, um einem einzigartigen Naturschauspiel beizuwohnen, vorgeführt von dem „Fisch, der bei Vollmond auf dem Strand tanzt“. So lautet ein indianischer Name des unscheinbaren, zehn bis 15 Zentimeter langen, schlanken, silbrigen Ährenfisches, der vor der pazifischen Küste lebt.

Was die Menschen anzieht und den Fischen ihren poetischen Namen gab, ist atemberaubend: Immer zur Springflut und in den nächsten zwei bis drei Nächten verwandeln die so genannten Grunions den Brandungssaum für eine gute Stunde in eine schäumende, wabernd tanzende Masse aus zappelnden und hüpfenden Tieren. Von einer hohen Welle lassen sich Tausende der kleinen Fische an den Strand spülen. Blitzschnell buddeln sich die Weibchen so tief ein, dass gerade noch ihr Kopf senkrecht aus dem Strand ragt, und legen ihre Eier in den Sand. Die Männchen winden sich daneben und geben Samen ab. Schon 30 Sekunden später, mit der nächsten großen Welle treiben sie zurück ins Meer und die nächsten Ährenfische landen an.

Den Eiern bleiben nun maximal 14 Tage Zeit, sich fertig zu entwickeln. Die schützende Sandschicht über ihnen wird derweil dicker und dicker – bis zur nächsten Springflut. Sie spült die reifen Eier frei, die Grunion-Babys schlüpfen binnen weniger Minuten und müssen nur noch auf die nächste Welle warten, um ins rettende Meer zu gelangen.

Die Ährenfische sind damit nicht nur die einzigen Fische, die zum Laichen an Land „gehen“, sie besitzen auch eine der bekanntesten Monduhren: Ihr innerer Gezeitenrhythmus sagt ihnen alle zwei Wochen auf die Stunde genau, wann sie zum Strand aufbrechen müssen, und er sagt den Jungtieren, wann es Zeit ist, aus dem Ei zu schlüpfen. Offenbar hat sich im Laufe der Evolution ein gehöriger Druck aufgebaut, der Grunions mit exakten Tidenplänen klar bevorzugte. Je deutlicher sich das extravagante Verhalten mit den Jahrtausenden herausschälte, desto geringer wurden die Chancen der Fische mit ungenauem Timing. Je unpünktlicher sie waren, desto geringer ihre Aussichten, einen Partner zu finden und sich fortzupflanzen. (…)

Wie das Licht zur Uhr kommt

Etwa 20 Jahre ist es her, da stellten Chronobiologen eine These auf, die in Fachkreisen nur Kopfschütteln auslöste: Neben den drei Arten von Zapfen für das Sehen der Grundfarben und den Stäbchen, die Hell-Dunkel-Unterschiede registrieren, gebe es im Auge von Säugetieren noch einen weiteren Lichtsinn. Er versorge die biologische Uhr mit Informationen über die Tageszeit – eine Aufgabe die bei Vögeln und Reptilien das Pinealorgan übernimmt. Weil das Pinealorgan der Säuger, auch Zirbeldrüse genannt, aber nur noch Melatonin produziert und auf Beleuchtungsänderungen nicht reagiert, galten bis zum Aufstellen der gewagten These die Stäbchen und Zapfen als einzige Kandidaten für die Eingangspforte des Lichts zur Uhr des Menschen.

Auf ihre Lichtsinn-These brachten die Forscher Studien mit einigen Blinden, denen Ärzte aus kosmetischen Gründen die Augen wegoperiert hatten. Vor der Operation hatten die Patienten noch einen intakten inneren Tagesrhythmus gehabt. Sie schliefen nachts und wachten tags. Ohne Augen lief ihre Uhr aus dem Ruder, offenbar weil ihnen ein bis dato unentdeckter Lichtsinn nun auch noch geraubt worden war. Nicht zuletzt deshalb sind solche Operationen heute unüblich geworden.
Experimente mit Mäusen bestätigten 1999 die anfangs belächelte These der Chronoforscher: Genetiker erzeugten Tiere, die weder Stäbchen noch Zapfen bilden konnten. Obwohl sie nach damaligem Wissensstand kein Quant Licht mehr registrieren durften, passten sie sich an künstlich verschobene äußere Tagesrhythmen an. Außerdem reagierten sie mit Pupillenreflexen auf Helligkeitsänderungen. Wie erfuhren sie bloß, wann im Labor das Licht an- und wann es ausgeknipst wurde?

Die Antwort ließt nicht lange auf sich warten: Zwei Jahre später überschwemmten Fachartikel die wichtigsten Wissenschaftsmagazine. Jeder lieferte ein Puzzlestück, bis sich schließlich ein klares Bild zusammensetzte: Ein kleiner Teil der so genannten retinalen Ganglionzellen, das sind Nerven, die mit weiten Verzweigungen die Netzhaut des Auges durchziehen und Auswüchse bis in die Tiefen des Gehirns senden, enthält ein lichtempfindliches Pigment namens Melanopsin. Das Gros dieser Nerven ist melanopsinfrei. Es reagiert nicht selbst auf Licht sondern sammelt die Informationen der Stäbchen und Zapfen und liefert sie zur Großhirnrinde, wo die Bilder entstehen, die wir als Produkt unserer Augen kennen.

Die Melanopsin enthaltenden Zellen verändern dagegen ihre elektrische Leitfähigkeit, wenn sie Licht registrieren – am besten übrigens aus dem blauen Teil des Spektrums. Diese Informationen senden sie unter anderem über die 1972 entdeckten Fasern, die halfen den SCN zu finden, zum Zentrum der physiologischen Zeitmessung und zu der Stelle, die Pupillenreflexe steuert. Mäuse, die kein Melanopsin erzeugen, zeigen nur noch geringe Pupillenreflexe und eine schwache Kopplung der biologischen Uhr an den äußeren Helligkeitsrhythmus. Dafür sind Restinformationen verantwortlich, die einer aktuellen Studie zufolge aus den Stäbchen und Zapfen stammen müssen. Denn noch mehr Lichtsinneszellen gibt es offenbar nicht: 2003 publizierten Biologen, dass Mäuse, denen Stäbchen, Zapfen und Melanopsin-Zellen fehlen, in jeder Hinsicht blind sind.

„Wir können nun sicher sein, dass das Auge zwei verschiedene Systeme zur Lichtverarbeitung besitzt: Stäbchen und Zapfen, die uns ein Gefühl für den sichtbaren Raum geben und das neue System, das Informationen liefert über die allgemeine Helligkeit in der Umgebung“, fasst der britische Neurobiologe Russell Foster die Resultate zusammen. Die weit verzweigten Melanopsin-Zellen sammeln das Licht, das auf große Teile der Netzhaut fällt, und reagieren nicht auf blitzartige Helligkeitsänderungen. So mitteln sie die Lichtmenge über den Raum und über eine gewisse Zeitspanne hinweg – und übrig bleibt ein Signal, das der inneren Uhr genau sagt, was sie wirklich wissen will: wie hell es gerade ist. (…)

Zeit für Leistung

Dass Menschen nachts müde sind ist eine Trivialität. Dass sie aber für gewöhnlich nachts auch dann weniger leisten, wenn sie kurz zuvor geschlafen haben, ist schon überraschender. Der Schlaf-Wach-Zyklus ist jedoch nur einer von mehreren chronobiologischen Faktoren, die unsere körperliche wie geistige Leistungsfähigkeit beherrschen. Die vielen Uhren des Körpers sind so getaktet, dass wir auf allen Ebenen genau dann am belastbarsten sind, wenn wir auch mit der größten Belastung zu rechnen haben.

Die geistige Aufmerksamkeit des Menschen steigt kurz nach dem Aufwachen rasch an und hält sich dann auf hohem, sogar noch leicht ansteigendem Niveau bis in den frühen Abend. Nur zur Mittagsschlafzeit wird das Plateau durch eine kleine Senke unterbrochen, verursacht durch die gesteigerte Schläfrigkeit. Das Kurzzeitgedächtnis funktioniert morgens am besten und lässt im Tagesverlauf stetig nach. Wer Dinge aus dem Langzeitgedächtnis hervorkramen möchte, ist dagegen am frühen Nachmittag am erfolgreichsten. Und für produktive Arbeiten, die logisches Handeln und das Lösen komplexer Problemstellungen erfordern, bietet sich der späte Vormittag an. Der Statistik zufolge sind dann Sprach- und Denkfähigkeit am höchsten. Fordert eine Aufgabe vor allem die Sinne, etwa weil schnelle Reaktionen gefragt sind, wird sie am ehesten spätnachmittags und abends gelöst. Dann arbeiten die Nerven besonders geschwind, was sich auch in einem gesteigerten Hör- und Schmerzempfinden ausdrückt.

Auch der Körper leistet nicht zu jeder Zeit gleich viel: Am späten Nachmittag und frühen Abend sollen Muskelkraft, Ausdauerfähigkeit und der Kreislauf ihr Tageshoch aufweisen, was sich angeblich auch in einer besonderen Häufung der Rekorde von Hochleistungssportlern niederschlägt. Turner nutzen aber besser den frühen Nachmittag, weil dann die Koordination am Besten vonstatten geht. Und Bodybuilder sollten erst am späten Abend zu den Hanteln greifen. Dann ermöglicht die innere Uhr den größten Bizepszuwachs. (…)

Jetlag: Wenn der Tag zur Nacht wird

Heute Singapur, morgen Hawaii, übermorgen New York. Flugbegleiter und Pilotinnen haben einen Traumberuf. Doch wer regelmäßig lange Flüge über mehrere Zeitzonen hinweg hinter sich bringt, macht den Kampf gegen den Jetlag zum Alltag und gefährdet seine Gesundheit. Die Liste der möglichen Folgen ist lang: Tagsüber ist man müde, nachts kann man nicht schlafen. Es treten Verdauungsstörungen, Appetitlosigkeit und Völlegefühl auf, begleitet werden sie von Konzentrationsschwächen, Schwindelattacken, Übermüdung, Krankheitsanfälligkeit, Überreiztheit, Kopfschmerzen.

Der Neurobiologe Kwangwook Cho von der Universität in Bristol, Großbritannien, fand beim Flugpersonal internationaler Gesellschaften nicht nur verminderte Lern- und Gedächtnisleistungen sowie erhöhte Stresshormon-Werte. Er entdeckte auch, dass Teile des Gehirns geschrumpft waren. Diese Schäden traten allerdings nur dann auf, wenn die Vielflieger sich nach Reisen über mehr als sieben Zeitzonen hinweg regelmäßig nicht mehr als fünf Tage ausruhen durften. Personal mit zweiwöchigen Regenerationszeiten trug keine bleibenden Schäden davon.

Allen Menschen, die viel und weit über Breitengrade hinweg verreisen, sollten diese Ergebnisse zu denken geben. Denn das Problem Jetlag nimmt mit der Globalisierung weiter zu. (…)

Wer nach seiner Reise von Berlin nach Los Angeles konzentriert und mit reichlich Appetit an einem Geschäftsessen teilnehmen möchte, sollte sich darüber im Klaren sein, dass Körper, Stoffwechsel und Geist gerade am absoluten Tiefpunkt vor sich hin dümpeln, weil die innere Uhr schon neun Stunden weiter ist. Ähnlich geht es jemandem, der in Hongkong morgens einen Vortrag halten möchte: Seine physiologische Uhr hängt sieben Stunden zurück und signalisiert nichts als tiefes, ehrliches Ruhebedürfnis.

Wenn irgend möglich, sollte einige Tage früher anreisen, wer sich an die Zeitumstellung wenigstens etwas gewöhnen will. Junge Menschen ohne allgemeine Schlafprobleme stecken einen Jetlag recht schnell weg. Empfindliche Personen brauchen lange: Eine Faustregel sagt, dass für die komplette Eingewöhnung ebenso viele Tage nötig sind, wie die Uhr um Stunden verstellt wurde. Etwas schneller geht die Eingewöhnung für Westflieger: Sie müssen ihre Rhythmen verlangsamen, und das fällt den meisten Menschen leichter. Nur die seltenen, waschechten Frühaufsteher mögen es lieber, wenn sie der Sonne entgegenfliegen.

Es gibt unzählige Tricks zur Jetlag-Vorbeugung: Sich vor der Abreise bereits etwas auf den zukünftigen Rhythmus zuzubewegen, etwa vor Ostreisen früher zu essen und zu Bett zu gehen, macht sicher Sinn. Es soll auch helfen, während des Flugs zu schlafen. Dann ist die Distanz zwischen dem letzten Schlaf in alter und dem ersten Schlaf in neuer Zeit geringer, was den Jetlag verringert. Andere schwören dagegen darauf, möglichst lange wach zu bleiben – ein Verhalten, das das Einschlafen sicher erleichtert, aber die Rhythmen wohl kaum verstellt. Ähnlich steht es um den Einsatz von Schlafmitteln: Auch sie ermöglichen es, zur gewollten Zeit wegzuschlummern, verstellen die innere Uhr aber kein Stück. (…)