Leseproben

Die folgenden Leseproben stammen aus „Das Schlafbuch“. Sie sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Deutschsprachige Nutzungsrechte vermittelt mein Verlag.

Nacht im Kabelsalat

Nein, das mit dem Einschlafen wird heute nichts. Wie auch? Am Schädel kleben Elektroden, zwischen den Haaren fixiert mit hartem Gips. Auf der Stirn, über dem Herzen, unter Augen und Kinn halten Pflaster weitere Sensoren. Temperatursonden haften an diversen Stellen meines müden Körpers, an Füßen, Händen, Oberschenkeln und Bauch. Hinter dem rechten Ohr sitzt die Erdung.

Bin ich in eine Geschichte von Franz Kafka geraten? Träume ich? Oder hat mich jemand in eine Glühlampe verwandelt? Nichts dergleichen. Ich habe mir die eigenartige Situation selber und ganz bewusst eingebrockt, damals, als ich mich zu der Expedition in eines der spannendsten Forschungsgebiete unserer Zeit entschloss: Ich will die neuesten Erkenntnisse der Schlafforschung zusammentragen, will Lösungen sammeln für ein großes, Jahrtausende altes Rätsel: Warum müssen wir schlafen? Warum verbringen wir ein Drittel unseres Lebens in einem passiven, unproduktiven, weitgehend schutzlosen Zustand?

Diese Frage stellte sich der griechische Arzt und Philosoph Alkmaion als einer der ersten im fünften Jahrhundert vor Christus. Bis heute konnte sie niemand schlüssig beantworten. „Es ist wahrscheinlich die größte offene Frage der Biologie“, sagt Allan Rechtschaffen, Schlafforschungspionier von der Universität in Chicago, USA.

Deshalb liege ich also hier, in einem tristen Krankenhausbett in einem noch trister, fast karg anmutenden, kleinen Raum. Er gehört zum Schlaflabor des Zentrums für Chronobiologie an der Universität Basel, einer der ersten Adressen, wenn es um die Erforschung unseres Schlaf-Wach-Rhythmus geht. Ich liege auf dem Rücken, wage es nicht, mich zu bewegen. Etliche dünne bunte Kabel laufen an meinem Körper entlang, verlassen am Kragen meinen Schlafkittel, um sich hinter meinem Kopf zu einem ansehnlichen Strang zu bündeln. Sie fesseln mich ans Kopfende des Bettes und rauben mir die letzte Hoffnung auf das vertraute, allabendliche Wegdämmern, auf die schönen, nutzlosen Momente im Zwischenreich von wachem und schlafendem Bewusstsein.

Was tun? Statt Schäfchen zu zählen, repetiere ich im Geiste das bevorstehende Programm. Die Datenaufnehmer sollen meine Physiologie überwachen, Hirn- und Herzströme, Augenbewegungen, Rumpf- und Extremitätentemperatur sowie die Muskelspannung erfassen. Ich dagegen soll einfach nur schlafen. Nicht mehr – aber auch nicht weniger. (…)

Schlafen Würmer?

Irene Tobler ist die Grand Dame der internationalen Schlafforschung. Die Tierphysiologin aus der Arbeitsgruppe von Alexander Borbély am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich hat seit fast drei Jahrzehnten so ziemlich jedes Tier beim Schlafen beobachtet, das man sich vorstellen kann: von der Küchenschabe über Skorpion, Maus, Fisch, Ratte, Hamster und Kuh bis zum Elefanten. Doch jetzt, wo ich an einem großen runden Tisch in ihrem über und über mit Büchern und Fachzeitschriften vollgestopften Arbeitszimmer sitze, begeistert sich die strenge Wissenschaftlerin ausgerechnet für einen winzigen Wurm. „Wir haben deutliche Hinweise, dass schon Caenorhabditis elegans einige der grundsätzlichen Schlafmechanismen der höheren Tiere besitzt“, sagt Tobler und lässt die Augen hinter ihren Brillengläsern funkeln.

Die Begeisterung ist nur zu verständlich. Sollte es tatsächlich so sein, dass der Schlaf fast genauso alt ist wie die Erfindung mehrzelliger Lebewesen selbst? Sollte er so wichtig für biologische Systeme sein, dass sogar Würmer ihn zum Überleben brauchen? Ein paar Räume weiter, in Toblers Labor, kriecht der greifbare Beweis dafür mit zuckenden Kringelbewegungen vor sich hin.

Dort leben einige der etwa einen Millimeter langen Fadenwürmer in den typischen Petri-Glasschalen der Mikrobiologen auf einem Bakterienrasen, von dem sie sich ernähren. Eine automatische Videoüberwachung zeichnet auf, ob, wann und wie lange sie sich bewegen. Immer wieder zeigen die Würmer Phasen der Ruhe. Die dauern nicht länger als zehn bis 20 Sekunden, aber sie sind so etwas Ähnliches wie Schlaf. Davon ist die Schweizer Biologin überzeugt – und sie kann es belegen: (…)

Schlafmangel macht dick

Thomas Alva Edison erfand die Glühlampe zwar schon im Jahr 1879. Doch es dauerte lange, bis elektrisches Licht Einzug in gewöhnliche Haushalte hielt. Noch 1910 gingen die Menschen deshalb früh zu Bett und verbrachten dort im Durchschnitt jede Nacht neun Stunden. Heute schläft einer Umfrage zufolge der Durchschnittsdeutsche nur noch sieben Stunden und acht Minuten. Er geht um 22.47 Uhr ins Bett, schläft nach einiger Zeit ein und wacht zwischen sechs und halb sieben wieder auf. Die Zeit vor dem Zubettgehen vertreibt er sich vor dem Fernsehgerät oder er setzt dank Kunstlicht sein Tagwerk ungehindert fort.

Diese Entwicklung macht viele von uns auf Dauer krank, glaubt die Chronobiologin Anna Wirz-Justice, die übrigens das Basler Schlaflabor leitet, in dem ich übernachtete: “Moderne Menschen schlafen im Durchschnitt etwa eine Stunde weniger als vor 20 Jahren. Vielleicht sind viele unserer so genannten Zivilisationskrankheiten langfristige Folgen dieses Trends.” Tatsächlich gibt es zunehmend Hinweise, dass anhaltender Schlafmangel unser Stoffwechselgefüge aus dem Gleichgewicht bringt. Offenbar braucht der Körper eine lange nächtliche Ruhephase, damit die ineinander greifende Signalkette der fein aufeinander abgestimmten Hormone ihre Schlafarbeit ungestört zu Ende bringen kann.

Schlafmangel hat ähnliche Auswirkungen auf den Kohlenhydratstoffwechsel und das Hormonsystem wie normale Alterungsprozesse, fanden 1999 Karine Spiegel und Eve Van Cauter aus Chicago heraus. Sie ließen gesunde junge Menschen für sechs Nächte nur vier Stunden schlafen. Danach waren die Blutwerte der Probanden so schlecht wie sonst nur bei Menschen mit hohem Risiko für Diabetes und Herzinfarkt. „Eine Schlafschuld dürfte den Schweregrad chronischer Alterskrankheiten verstärken“, bilanzierten die Forscherinnen. Oder anders gesagt: Wer zu wenig schläft, wird schneller alt.

Botenstoffe wie Insulin, Leptin oder Ghrelin, aber auch die Hormone der Schilddrüse oder der Nebennierenrinde sorgen unentwegt für ein ausgeglichenes, den körperlichen Bedürfnissen angepasstes inneres Energieniveau und dafür, dass unsere Organe optimal arbeiten können. Im Schlaf leitet das Wachstumshormon eine organische Rundumerneuerung ein. Der Körper erzeugt neue Zellen und braucht dafür viel Energie. Weil wir dann aber nichts essen, wird nun vor allem das Fett aus unseren Energiespeichern rings um Bauch, Po oder Hüfte verbrannt. Künstliches Wachstumshormon, das beim Abnehmen und Regenerieren hilft, hat es deshalb zu unrühmlicher Prominenz als Dopingmittel für Ausdauersportler gebracht.

Vielleicht sollten die Sportler statt zu dopen aber einfach mehr und tiefer schlafen? Ist die Zeit für das komplexe nächtliche Stoffwechsel-Geschehen nämlich zu kurz oder schlafen wir zu unregelmäßig, kann das ganze System in Schieflage geraten. (…)

Gerade beim Übergewicht zweifelt kaum mehr jemand an diesem direkten Zusammenhang. So fanden in den vergangenen Jahren eine Menge Wissenschaftler in verschiedenen Studien, dass Menschen, die ungewöhnlich wenig oder schlecht schlafen, öfter als andere dick werden. Shahrad Taheri von der Stanford Universität in Kalifornien stellte zum Beispiel mit Kollegen fest, dass der Body Mass Index (Körpergewicht geteilt durch die Größe in Metern zum Quadrat) bei Menschen, die weniger als acht Stunden pro Nacht schlafen, umso mehr steigt, je weniger Schlaf sie bekommen. Bei dieser, übrigens direkt proportionalen Beziehung spielen wahrscheinlich die Appetit regulierenden Stoffwechselhormone eine entscheidende Rolle: Jene Menschen, die besonders wenig schlafen haben im Blut erhöhte Werte des Hungerhormons Ghrelin und verminderte Werte des körpereigenen Appetitzüglers Leptin. (…)

Die 88 Schlafkrankheiten

Moderne Gesellschaften sind unausgeschlafen. Auch die deutsche. Im Jahr 2002 nahmen hier zu Lande 570.000 Menschen vom Arzt verordnete Hypnotika und Sedativa im Wert von 104 Millionen Euro ein. Schlaf- und Beruhigungsmittel gehören außerdem zu den erfolgreichsten frei verkäuflichen Medikamenten. Den volkswirtschaftlichen Schaden, der pro Jahr vor allem durch unbehandelte Schlafstörungen verursacht wird, schätzen Mediziner auf 10 Milliarden Euro.

Im Jahr 2000 lieferte eine Befragung von 20.000 Patienten in 539 deutschen Allgemeinarztpraxen alarmierende Zahlen: Sieben von zehn Befragten klagten über Schlafprobleme, vier von zehn litten daran regelmäßig. Jeder sechste beklagte häufige Schläfrigkeitsattacken am Tag, acht Prozent nickten tagsüber sogar immer mal wieder ungewollt ein. Kleinere repräsentative Umfragen, die statt Patienten Durchschnittsbürger aushorchen, enden kaum besser: Etwa ein Viertel aller Westdeutschen leide zumindest zeitweilig an Ein- oder Durchschlafstörungen, ermittelten in den 1990er Jahren Göttinger Schlafmediziner. Damit liegt unser Land im internationalen Mittelfeld: 15 bis 35 Prozent der Bevölkerung in den westlichen Industrieländern leiden an Schlaflosigkeit.

Doch was ist schlechter Schlaf eigentlich? Wann ist der Schlaf gestört? Diese Frage lässt sich ungeheuer schwer beantworten. Viele Menschen bilden sich nur ein, sie würden nicht genug Schlaf bekommen – sprich eine Insomnie haben -, etwa weil sie nachts häufig wach werden oder ihnen die Einschlafzeit im Bett sehr lange vorkommt. In Wahrheit ist ihr Schlaf aber sehr tief und zumindest nicht zu kurz, so dass er seine wichtigste Funktion erfüllt: Er ist erholsam.

Andere Menschen wiederum, schlafen viel und lange, kämen nie auf die Idee, schlafkrank zu sein, wachen morgens dennoch immer wieder unausgeschlafen, übermüdet und schlapp auf. Sie haben anschließend Probleme, den ganzen Tag wach zu bleiben, und dürften – ohne es zu wissen – irgendeine Krankheit haben, die ihren Schlaf nicht tief genug sein lässt oder immer wieder für sehr kurze Augenblicke unterbricht. Dadurch ist er kaum erholsam. Das führt zu einem krankhaft erhöhten Schlafbedürfnis, Hypersomnie genannt.

Viel leichter als die Schlafstörung erkennt man ihr Gegenteil: Wer morgens entspannt, gut gelaunt und voller Energie den Tag beginnt, diesen daraufhin problemlos auf anspruchsvollem Leistungsniveau übersteht und am kommenden Abend zur gewünschten Zeit müde wird, um rasch einschlafen zu können, der hat gut geschlafen. Doch gibt es solche Menschen überhaupt? Natürlich! Die meisten Kinder schlafen so gut. Und zumindest einige Erwachsene sicher auch. Gute Schläfer wissen allerdings im Allgemeinen nicht, warum ihnen ihr Kunststück immer wieder gelingt. Für sie ist erholsamer Schlaf eine Selbstverständlichkeit. Sie haben sich zumeist noch nie Gedanken über ihr Glück gemacht. Vor allem aber wissen sie nicht, wie viele Menschen sie um ihre gelungenen Nächte beneiden.

Für all die Unausgeschlafenen gibt es nämlich unzählige mögliche Auslöser ihres Problems. Schlafmediziner unterscheiden 88 Schlafkrankheiten. Alles Denkbare und noch mehr Undenkbares gehört dazu: Schlafwandeln, Rückenschmerzen, Wadenkrämpfe, Menstruationsbeschwerden, Asthma, Zähneknirschen, umweltbedingte Schlafstörungen – wie zum Beispiel das Schlafen bei falschen Temperaturen oder zu viel Lärm -, das Syndrom der ruhelosen Beine, Tinnitus, Alpträume, Nebenwirkungen von Medikamenten, Hormonstörungen, Sodbrennen, extremes Schnarchen mit häufigen Atemaussetzern namens Schlafapnoesyndrom, die Schlafanfallskrankheit Narkolepsie, grundlose Panikattacken, massive nächtliche Grübelei, unergründliche innere Unruhe, Halluzinationen, Depressionen, Störungen der chronobiologischen Rhythmik und vieles mehr.

Wie Strom das Gedächtnis verstärkt

Angst vor Elektrosmog dürfen die Probanden im Schlaflabor des Instituts für Neuroendokrinologie der Universität Lübeck wahrlich nicht haben. Sie müssen nachts eine Kappe mit zahllosen Elektroden tragen. Einige der Metallplättchen messen die Schwankungen der Hirnströme. Andere senden jedoch Strom aus, anstatt ihn zu empfangen. Sie erzeugen schwache, einmal pro Sekunde auf und nieder schwingende elektrische Potenziale, die ungefähr so stark sind wie die Stromschwankungen der Zellen und Zellnetzwerke selbst. Diese Ströme dringen durch die Schädeldecke und verändern die Aktivität der Nervenzellen.

Doch das schadet nicht. Im Gegenteil: „Hinterher fühlen sich die Testpersonen ausgeschlafener und sie haben ein besonders gutes Gedächtnis“, sagt Institutsleiter und Hirnforscher Jan Born. Am Tag nachdem die Testschläfer unter Strom gesetzt wurden, prüfen die Wissenschaftler mit Hilfe vor dem Schlaf trainierter Reaktions- und Gedächtnistests die Leistungsfähigkeit des Denkorgans. Dabei schneiden die Probanden besser ab als Vergleichspersonen, die ohne Strom geschlafen haben. Der Strom hat offenbar einen besonderen Lerneffekt ausgelöst. (…)

Eine Frage ohne Antwort

Es ist schon merkwürdig: Da besuche ich nacheinander eine ganze Reihe international geschätzter Schlafforscher, Chronobiologen und Neurologen, stelle ihnen zu Beginn meiner Interviews ausnahmslos die selbe Frage – und ernte immer die gleiche Reaktion: Zunächst zuckt die Schulter, dann taucht ein verschmitztes Lächeln auf, der Blick schaltet auf Langeweile und schließlich sagen sie: „Wir müssen dazu stehen, dass wir es nicht wissen.“ Oder so etwas Ähnliches.

Was mag das für eine Frage sein, auf die all diese Experten, die sich seit vielen Jahren intensiv mit dem Thema Schlaf beschäftigen, die geübt darin sind, eigenständige Ideen zu entwickeln, gerne individuelle Meinungen vertreten und auch sonst sehr verschieden sind, so ähnlich reagieren? Die Frage ist ganz banal: „Welchen Sinn hat der Schlaf?“

Wie sagte noch der Schlafforschungspionier Allan Rechtschaffen? „Es ist wahrscheinlich die größte offene Frage der Biologie.“ Das mag vielleicht ein wenig hochgegriffen sein. Doch verblüffend ist schon, dass Biologen mittlerweile das menschliche Erbgut entschlüsseln, die Evolution das Lebens vom ersten, winzigen Einzeller bis hin zur heutigen Artenvielfalt verstehen, oder wissen, wie hochkomplexe Sinnesorgane bis ins kleinste Detail funktionieren und gebaut sind. Und dennoch nicht erklären können, warum wir rund ein Drittel unseres Lebens damit verbringen, entspannt mit geschlossenen Lidern dazuliegen und fast unser ganzes Bewusstsein zu verlieren. (…)

Also muss ich nachhaken: Könnte nicht dies, das oder jenes der Grund für unser Schlafbedürfnis sein, frage ich. Oder vielleicht alles zusammen? Warum schlafen sogar Fliegen so ähnlich wie wir? Wäre es nicht möglich, dass wir eines Tages herausfinden, wie wir ganz auf Schlaf verzichten können? Allmählich tauen die Wissenschaftler auf. Es existierten natürlich eine Reihe interessanter Hinweise auf die Funktion des Schlafes, geben sie zu. Im Schlaf erledige unser Körper unglaublich viele Aufgaben. Doch welche dieser Aufgaben letztlich dafür verantwortlich sei, dass wir schlafen müssen, welche Aufgabe unser Organismus nicht auch ohne Schlaf irgendwie erledigen könne, welche lebenswichtig sei: das würde in absehbarer Zeit vermutlich niemand beantworten können.

Ich glaube zu verstehen: Es läuft darauf hinaus, dass erst die Summe aller seiner Funktionen den Schlaf so unersetzlich macht. (…)

Schlaf und Bewusstsein

Trotz der Zurückhaltung der Schlafforscher gibt es also in Wahrheit schon eine ganze Menge Hinweise auf den Sinn des Schlafes: Wir schlafen eindeutig nicht, weil wir ruhen müssen. Wir schlafen ein wenig, um Energie zu sparen, wenngleich vermutlich nicht in dem Maße wie es manche kleine Säugetiere tun. Wir schlafen mit Sicherheit zur Erholung, für Wachstum und Regeneration und für ein ausbalanciertes Stoffwechselgefüge. Wir schlafen als Kinder besonders viel, weil wir noch wachsen und unser Gehirn seine Aufgaben noch finden muss. Wir schlafen aber auch als Erwachsene vor allem für das, was unser Denkorgan so anstellt, wenn das Wachbewusstsein ausgeschaltet ist.

Besonders überzeugend ist die These, dass wir schlafen müssen, um unser Gehirn von der Last von Abermilliarden überflüssigen Verknüpfungen zwischen Nervenzellen zu befreien – eine Arbeit, die wir wahrscheinlich gar nicht im Wachzustand erledigen können. Stimmt diese Idee, dann ist das Hin und Her zwischen Wachen und Schlafen eine logische Folge der Arbeitsweise unseres Denkorgans: Beim Wachen baut es Kontakte auf, die es nur schlafend wieder abbauen kann. Übrig bleiben bei diesem Wechselspiel nur jene, im Wachzustand überdurchschnittlich oft oder intensiv genutzte Verbindungen, die für uns – warum auch immer – besonders wichtig waren. Aus ihnen wachsen im Laufe unseres Lebens, Tag für Tag und Nacht für Nacht in kleinen Stücken unsere Erinnerungen.

Wir schlafen also, um uns zu erinnern. Das gilt nicht nur für den Geist sondern auch für den Körper: Die Gedächtniszellen des Immunsystems brauchen den Schlaf, und auch das innere Gleichgewicht, zu dem unsere Stoffwechsel- und Organsysteme dank der Erholung im Schlaf immer wieder zurückfinden, ist eine Art Erinnerung.

Dass der Schlaf uns aber höchstwahrscheinlich auf ewig ein Rätsel bleiben wird, dafür sorgen die Prozesse im schlafenden Gehirn schon selbst: Sie bahnen den unendlich vielen assoziativen Nervenzellnetzen unseres Gedächtnisses ausgerechnet im Unbewussten – manche sagen auch im Schlafbewusstsein – ihren Weg. So ermöglichen sie, dass wir dem, was wir im Wachzustand erleben, Gedanken hinzufügen und eine Prognose darüber erstellen, was als nächstes passieren könnte. Erst der Schlaf versetzt uns also in die Lage, unserer Gegenwart vor dem Hintergrund unserer Vergangenheit einen Sinn zu geben. Oder anders ausgedrückt:

Ohne Schlaf gibt es kein Bewusstsein.